Während des Vietnamkriegs lieferten TV-Sender erstmals blutige Schlachtenbilder frei Haus. Jahre später präsentierte Hollywood die psychischen Wunden der Heimkehrer – und die Verbrechen einer geschlagenen Nation. Der Artikel ist aus COMPACT-Spezial „Krieg. Lügen. USA: Die Blutspur einer Weltmacht„.

    Der Krieg in Vietnam steht auch für eine Medienrevolution: Parallel startete ein Krieg der Bilder, mit dem politische Gruppierungen um Deutungshoheit stritten. Daher hatten Berichterstatter erstmals (relativ) offenen Zugang zum Grauen der Schlachtfelder: Napalm und Nahkampf im Frühstücks-TV. Viele Aufnahmen avancierten zu finsteren Ikonen. Das Foto des schreienden Mädchens, dessen nackter Körper von Napalm verbrannt ist, lässt jede Opferstatistik verblassen. Die Demoralisierung war am Ende vollkommen. Auch deswegen sollte die US-Regierung den Reportern nie wieder solche Freiheit gewähren.

    Bestien, Teufel und Werwolf

    Die Produktion der Bilder endete keineswegs mit den Kampfhandlungen. Dokumentarfilmer erkannten in der Grausamkeit des Krieges ein anthropologisches Problem: Als 1972 in Michigan eine Untersuchung über die Verbrechen in Vietnam stattfand, schnitten Filmemacher die Verhöre mit. Der Doku-Streifen Winter Soldier (1972) lässt junge Soldaten erzählen, wie sie im Dschungel zu Massenmördern wurden – ohne weiteren Off-Kommentar. Ein Veteran gesteht, beim Betreten eines Dorfes hunderte Menschen niedergemäht zu haben, «um sicherzustellen, dass mich niemand beim Verlassen erschießen könnte». Das sei seine «Philosophie» gewesen. Zwischendurch blendet die Regie Fotos ein, die den jeweils Interviewten als Bestie in Uniform zeigen: bei der Steinigung eines Kindes, weil es die US-Army zuvor verlacht hatte. Oder beim Aufschneiden einer Frau vom Geschlechtsteil bis zum Hals. Die massigen, riesigen Soldaten wirken «wie Geschöpfe aus dem Weltraum», die «von bösartigen Maschinen abgeworfen werden, um Verderben zu bringen», bemerkte dazu der Filmkritiker Amos Vogel.

    Dagegen versuchte Hollywood zunächst eine indirekte Darstellung des Vietnamkriegs. So zeigte der Western Das Wiegenlied vom Totschlag (1970) das historische Sand-Creek-Massaker der US-Kavallerie an den Cheyenne-Indianern (1864), aber die Parallelen zum Gemetzel in Südostasien waren unübersehbar. Entfremdung gegenüber politischen Institutionen machte selbst vor dem Präsidenten nicht mehr halt: Das Böse sitzt im Weißen Haus. In dem Horrorfilm Das Omen (1976) gelangt der Teufel persönlich in die Politelite der USA. Der Werwolf von Washington (1973) präsentiert eine Radioansprache des Präsidenten, die ständig durch Knurren unterbrochen wird: Der mächtigste Mann der Welt mutiert zum Unwesen.

    Nach dem Ende der US-Intervention 1975 fokussierte sich Hollywood auf das Nachkriegsschicksal der Veteranen: Wie weiterleben nach dem Inferno? Gibt es eine Resozialisierung nach der Hölle? In Taxi Driver (1976) leidet der vormalige GI Travis Bickle (Robert De Niro) an Schlaflosigkeit. Er bewirbt sich als Taxifahrer, taucht dadurch in die New Yorker Gangsterszene ein. Angewidert beschließt er eine «Säuberung» des Asphalt-Dschungels. Der Soldat in ihm bricht wieder hervor. Für den schwachen Rechtsstaat hat er nur Verachtung übrig. In Coming Home – Sie kehren heim (1978) beschließt die gelangweilte Offiziersgattin Sally (Jane Fonda), traumatisierte Veteranen zu betreuen, und unterstützt die Anti-Kriegs-Kampagne des zerrütteten Luke (Jon Voight) – eine Parallele zu Fondas realem Engagement.

    «This is the end, my only friend»

    Ein frühes Protestmusical gegen den Vietnamkrieg, Hair (1968), fand elf Jahre nach der Uraufführung seine Kinoadaption durch Milos Forman: Der junge Provinzler Claude Hooper Bukowski (John Savage) meldet sich in New York zur Musterung für den Einsatz gegen die Vietcong. Dabei lernt er Sheila (Beverly D’Angelo) kennen, die ihn in eine Hippie-Kommune abschleppt. Dort ruft man das Zeitalter des Wassermanns («Harmony and Understanding») aus und zelebriert freie Liebe. Zuletzt helfen die Blumenkinder dem zögerlichen Bukowski, seinem Einsatz zu entkommen…
    Im selben Produktionsjahr konkurrierte Francis Ford Coppola erstmals via Spielfilm mit der TV-Bilderflut, ließ Kampfszenen für 30 Millionen Dollar auf den Philippinen nachstellen. Das Resultat war Apocalypse Now (1979).

    Die Handlung basiert auf Joseph Conrads Novelle Herz der Finsternis, was dem Thema eine neue Dimension eröffnete. Für Conrad war der Dschungel des kolonialen Afrika ein Spiegel innerer Wildnis, wo vermeintlich Zivilisierten schockierende Selbsterkenntnis droht. Bei Coppola wird Kolonialhändler Kurtz zum Major im Vietnamkrieg (Marlon Brando). Der hat im tiefen Dschungel ein Reich des Grauens, der totalen Willkür errichtet. Von dort aus führt er seinen eigenen, chaotischen Krieg – ohne nachvollziehbaren Feind. Die Militärführung entsendet den angeschlagenen Captain Benjamin L. Willard (Martin Sheen) zur Eliminierung des Anarcho-Colonels. Der Auftrag wird für Willard zu einer Reise ans Ende der Nacht: Er mutiert zum Mörder.

    «Apocalypse Now». Der Dreh stand unter keinem guten Stern: Bei einem Sturm wurde das Set fast vollständig zerstört, Hauptdarsteller Martin Sheen erlitt einen Herzinfarkt und fiel längere Zeit aus. Foto: United Artists

    Der zivilisatorische Vorhang reißt täglich ein Stück tiefer, bis zum Durchscheinen grellster Wahrheit: Der Gesuchte repräsentiert die Vernichtungswut des Krieges, nur ohne ideologische Maskerade. Als Willard und Kurtz einander begegnen, mokiert sich der Colonel, dass man US-Soldaten zwar zum Töten heranzüchte, ihnen aber nicht erlaube, «Fuck» auf ihre Helikopter zu schreiben, «weil das obszön sei». Bevor Willard zur Liquidierung schreitet, versieht er sein Gesicht mit archaischer Kriegsbemalung: Präzivilisatorische Impulse brechen sich Bahn. Mit der Tötung von Kurtz mordet Willard sich selbst… Coppolas fiebriger Dschungeltrip mit Kamerafahrten über finstere Flussarme, Slow-Motion-Shots explodierender Napalmbomben, unterlegt mit dem Song «The End» der Doors, erweiterte die Bildsprache über diesen Krieg in nie dagewesenem Maß.

    1979 startete ein weiterer Kinohit zu Vietnam: The Deer Hunter – Die durch die Hölle gehen. Wieder steht die Auflösung zivilisatorischer Selbstbilder im Zentrum: Drei russischstämmige Stahlarbeiter, Michael (Robert De Niro), Nick (Christopher Walken) und Steven (John Savage), halten es für ihre patriotische Pflicht, ihrer Exilheimat USA als Soldaten zu dienen. Sie melden sich freiwillig zum Einsatz in Fernost. Dort geraten sie in Gefangenschaft, man zermürbt sie durch Folter: Tagsüber stehen sie bis zum Hals im Wasser, abends zwingt man sie zum Russisch Roulette. Zwar gelingt dem Trio die Flucht, aber zurück in den USA stellt Michael fest, dass es für ihn keine Heimkehr geben kann. Er reist wieder nach Vietnam, sucht den dort verbliebenen Nick. Er findet den Freund in einem Casino, wo er – von Heroin zerfressen – gegen Wetteinsatz Russisches Roulette spielt. Sein Trauma hat ihn restlos verschlungen, wurde zum Lebensinhalt…

    Frühe Antikriegsfilme aus Hollywood, beispielsweise Im Westen nichts Neues (1929), strichen das Grauen physischer Vernichtung heraus. Die zerstörte Psyche der Heimkehrer schien marginal. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb John Hustons Dokudrama Es werde Licht! (1946) über psychiatrische Therapien von US-Soldaten eine Ausnahme. Nach dem Vietnamkrieg jedoch stand Seelenzerstörung plötzlich im Vordergrund. Die Erschütterung ließ sich kulturell nicht länger auffangen.

    Reagans Rambo

    Mit dem Amtsantritt Ronald Reagans als US-Präsident 1981 endete das zerknirschte Selbstsezieren. Patriotischer Optimismus war die neue Leitlinie für Politik und Medien. Aber diese Zeitgeistwende führte bei Vietnam zu einem neuen Problem: Wie konnte die Supermacht USA von einem so kleinen Land geschlagen werden? Welch Demütigung! Also lieferte Hollywood mit Rambo 2 – Der Auftrag (1985) das ersehnte Gegengift. War der erste Rambo (1979) noch ein Antikriegsfilm über die misslungene Resozialisierung des traumatisierten Veteranen John Rambo (Sylvester Stallone), so schickt ihn die Fortsetzung zurück an die Front. Dort soll er US-Soldaten aus der Geiselhaft befreien. Die muskelbepackte Kampfmaschine zieht den Job im Alleingang durch, gewinnt den Vietnamkrieg im zweiten Anlauf. Der Action-Kracher wurde ein Sensationserfolg. Reagan sagte in Hinblick auf künftige Geiselnahmen: «Junge, nachdem ich gestern Abend Rambo gesehen habe, weiß ich, was zu tun ist, wenn dies das nächste Mal passiert.»

    Die bekannteste und zugleich ergreifendste Aufnahme aus dem Vietnamkrieg: Die damals 9-jährige Phan Thi Kim Phuc flieht 1972, von Napalm schwer verbrannt, aus ihrem Dorf. Foto: picture alliance / AP Photo

    Aber nicht alle Filmproduzenten folgten dem Reagan-Kurs. Mitte der 1980er brachte Hollywood zwei weitere Antikriegsklassiker heraus. Oliver Stone, ehemals Freiwilliger im Vietnamkrieg, drehte 1986 den autobiografisch gefärbten Platoon, im darauffolgenden Jahr kam Stanley Kubricks Full Metal Jacket ins Kino: Die erste Hälfte zeigt Demütigung und Brechung bei der Ausbildung von Rekruten. Vor allem der pummelige und tapsige Leonard (Vincent D’Onofrio) wird Opfer des brutalen Gunnery Sergeant Hartman (R. Lee Ermey). Der lässt keine Schikane aus, verpasst dem Rekruten den Spitznamen Paula. Aber die schwarze Pädagogik geht nach hinten los: Anstatt zur Killermaschine wird der Gebrochene zum Amokläufer, erschießt den Ausbilder und anschließend sich selbst… Kubricks Film beantwortet die Frage, die bei Winter Soldier aufkam: Wie züchtet man Tötungsmaschinen?

    Bei den Kriegen in Afghanistan oder im Irak verhängte die US-Regierung wieder strenge Bildzensur. Die Medien vermittelten das Image eines angeblich sauberen Krieges derart konsequent, dass das Leaking der Fotos von Abu Ghraib tatsächlich Irritation auslöste. Als hätte man solche Grausamkeit in einem Krieg nicht erwartet. Die Warlords hatten aus Vietnam gelernt.

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