Viktor Orban unter Beschuss: Nicht nur der EU ist er ein Dorn im Auge, auch Kräfte im eigenen Land agieren gegen den ungarischen Premier: Linke aller Art, Gewerkschaften und von George Soros finanzierte Weltverbesserer. Mit dabei ist auch eine vormals patriotische Partei. Wir haben uns von dieser bunten Front schon vor zwei Jahren in Budapest ein eigenes Bild gemacht. Allen Orban-Fans empfehlen wir das Buch Make Europe Great Again. Petr Bystron porträtiert darin den ungarischen Premier neben anderen europäischen Patrioten. Hier mehr erfahren

    Irgendwie ist aus dem gemeinsamen Interview im Eco-Café eine hitzige Diskussion geworden. Während vor dem Fenster der Regen auf den Prachtboulevard Andrassy ut fällt, streiten die drei jungen Aktivisten bei Fair-Trade-Kaffee: Es geht um die Frage, warum die regierende Fidesz-Partei noch immer die deutliche Mehrheit der Ungarn hinter sich vereint.

    Seit Dezember 2018 gehen Anita Seprenyi (28), Valeria Horvath (31) und Tomasz Guylas (22, Name geändert) gegen die nationalkonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban auf die Straße. In weniger als einer Stunde werden sich die Demonstranten draußen zwischen den von Lichterketten geschmückten Bäumen versammeln und zum Parlament ziehen. «Wir haben genug», lautet ihr Motto.

    «Woke» Bahnhofsklatscher

    Nur vordergründig geht es um ein vor Kurzem beschlossenes Gesetz, das es Arbeitgebern erlaubt, bis zu 400 Überstunden jährlich zu verlangen. Für die drei Aktivisten ist es vor allem eine willkommene Gelegenheit, gegen Orban zu protestieren. Das «Sklavengesetz», wie sie es nennen, kam gerade recht: Es hat die äußerst zersplitterte Opposition von Liberalen über Linke bis hin zu den NGOs erstmals zusammengebracht.

    Der bisherige Höhepunkt der Proteste war der Versuch von oppositionellen Abgeordneten, ins staatliche Rundfunkgebäude einzudringen. Die Bilder, wie der Ordnungsdienst schreiende Politiker aus dem Gebäude zerrt, waren strategisch einkalkuliert. Heute soll der nächste Schritt der Kampagne folgen.

    Bei Fair-Trade-Kaffee diskutieren sie die Lage.

    «Jeder demonstriert für etwas anderes», sagt Valeria mit funkelnden Augen. Die adrette Dunkelblonde ist die Radikalste der drei. «Ich hasse die Regierung seit der Wahl und würde bei jedem möglichen Grund gegen sie demonstrieren. Ich bin eine Super-Linke.» Sie alle sind Akademiker, haben in London, München oder Bologna studiert oder gearbeitet und kennen sich aus einem vom Weltwirtschaftsforum ins Leben gerufenen Jugendnetzwerk.

    Csaba Molnar, Vize der Demokratischen Koalition. Die Abspaltung der durch Korruption und Polizeigewalt diskreditieren Postkommunisten wittert eine neue Chance. Foto: picture alliance/AP Photo

    Ihre Themen heißen Migration, Klimawandel und Gender; die Sympathien gelten der 2017 neu gegründeten Protestpartei Momentum. Die ist von Emmanuel Macrons Partei La République En Marche inspiriert und erreicht in aktuellen Umfragen zwar lediglich zwei bis drei Prozent, unter den Jungwählern aber mit bis zu zehn Prozent deutlich mehr.

    Als die Asylanten auf ihrem Weg nach Deutschland im Herbst 2015 am Budapester Ostbahnhof ankamen, waren Anita und Valeria dort, um zu klatschen und Hilfsgüter zu bringen. Im April 2018 demonstrierten sie gegen Orbans Wiederwahl, im Dezember dann für die vom Ministerpräsidenten vergraulte Soros-Universität CEU.

    «Sugardaddy» Soros

    George Soros? – Immer wieder fällt in der ungarischen Debatte um die Proteste dieser Name. Ministerpräsident Orban wirft dem in Budapest geborenen US-Spekulanten und selbst ernannten Philanthropen vor, die prowestliche Migrationslobby und auch die jüngsten Demonstrationen zu finanzieren.

    Regierungssprecher Zoltan Kovacs spricht von einer «ferngesteuerten Opposition», die aus den «üblichen Verdächtigen» mit Verbindungen zu Soros’ milliardenschweren Open Society Foundations (OSF) bestehe. Anita scheint Angriff für die beste Verteidigung zu halten: Auf ihrem Facebook-Titelbild ist ein Demo-Plakat mit der Aufschrift «Soros ist mein Sugardaddy» zu sehen. Ihre Freundin Valeria hat als Anwältin für die OSF gearbeitet und schreibt ihre Doktorarbeit über die Steuerung von «durch den Klimawandel bedingte Migration».


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    Aus den Finanzquellen macht sie keinen Hehl: «Das Geld für die Demos kommt natürlich nicht direkt von den OSF, aber die Leute verstehen offenbar nicht, wie sich NGOs finanzieren – die können ja nicht nur von Luft und Liebe leben». Für Orban-Anhänger, die in Merkel ein abschreckendes Beispiel sehen, hat sie kein Verständnis. «Ungarn gibt es erst seit 1.000 Jahren. Das ist in Bezug auf die Menschheit gar nichts!» Dass die Fidesz seit 2010 eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat und auch die aktuellen Umfragen mit deutlichem Abstand anführt, macht Valeria wütend.

    Rechte unter Regenbogenfahnen

    Auf der Straße hat sich der Demonstrationszug formiert. Anita hat sich das blau-gelbe Sternenbanner der EU wie ein Superhelden-Cape um die Schultern gebunden. Als die Menge zwischen den reich verzierten Gründerzeitbauten der einstigen Habsburger-Hauptstadt an mir vorbeizieht, zeigt sich die Opposition mit all ihren Widersprüchen: Zuerst ist da die Jobbik mit einem kleinen Meer großer Fahnen.

    Die – wenn auch weit hinter der Fidesz abgeschlagen – stärkste Oppositionskraft galt einst als radikal rechts. Seit Orban das Migrationsthema dominiert, stolpert Jobbik durch eine Art Identitätskrise. Irritierend: Direkt neben Jobbik wehen ausgerechnet die blauen Fahnen der jungen Bewegungspartei Momentum, die sich als liberal und pro-europäisch versteht; vereinzelt sind auch EU- und Regenbogenfahnen dabei.

    Momentums pausbäckiger blonder Sprecher Miklos Hajnal (23) grüßt am Rande Anhänger mit Handschlag. Die Proteste seien eine «Ein-Punkt-Bewegung», erklärt er mir in gutem Englisch, die «vor allem von Studenten und Arbeitern getragen» würde. Im Dezember war er ganz vorne mit dabei, als es erstmals zu kleineren Zusammenstößen mit der Polizei kam und die Weihnachtsdeko vor dem Parlament in Flammen aufging.

    Skurrile Szenen: Die rot-weiße Flagge der ersten Königsfamilie Ungarns ist zum Symbol der Nationalisten geworden – rechts daneben die Regenbogenfahne, die für Homo-Rechte und Multikulti steht. Foto: Autor

    Es folgt die linksgrüne LMP. Einige Reihen später steigt der Altersdurchschnitt dann sprunghaft an: Da kommen die Postkommunisten der MSZP und deren Abspaltung Demokratische Koalition. Letztere wird geführt vom skandalumwitterten Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, der wegen einer geleakten Geheimrede zur Hassfigur der patriotischen Proteste von 2006 wurde.

    Damals hatte der Sozialist zugegeben, die Öffentlichkeit jahrelang durchweg belogen zu haben – heute wittert er eine neue Chance. Und dann sind da natürlich die Gewerkschaften, die nicht nur wegen des Anlasses gewissermaßen das Rückgrat der Demonstration darstellen, sondern mit Tröten und Rasseln auch ihren Soundtrack liefern.

    Besonders auffällig ist die geringe Polizeipräsenz, vor den ersten und hinter den letzten Reihen sind es nur je eine Kette. Die Beamten sind da, aber halten sich größtenteils in den Fahrzeugen und Seitenstraßen zurück, wo sie nicht sofort ins Auge fallen. Unbedingt will man beweisen, dass es nicht mehr die gleiche Truppe wie 2006 ist, als der patriotische Widerstand vor dem Parlament niedergeknüppelt wurde.

    Träume vom Generalstreik

    Als der Demonstrationszug das Parlament erreicht, ist es bereits dunkel geworden. Das golden erleuchtete Gebäude mit seinen zahlreichen Türmen und Giebeln ist Westminster nachempfunden und liegt direkt an der dunkel rauschenden Donau. Rund 8.000 Menschen haben sich auf dem Platz davor versammelt, recken die Taschenlampen ihrer Handys in die Höhe. Obwohl es die bisher größte der Demonstrationen ist, scheint die Aufmerksamkeit der westlichen Medien stark übertrieben. Umso finsterer zeichnen sie den Premier.

    Hassfigur für Linke im In- und Ausland: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bei einer Veranstaltung seiner Fidesz-Partei. picture alliance/Pacific Press Agency

    «Vor dem Hintergrund des erstarkenden Populismus und der Proteste in Westeuropa will die dortige Presse Ungarn schwarzmalen», erklärt der Politikwissenschaftler Zoltan Kiszelly das Missverhältnis.«In den Reden geht es kaum noch um das Überstundengesetz», sagt Anita ein bisschen ernüchtert, «es ist nur Anti-Orban, ohne Visionen».

    Neben den Justizreformen und der staatlichen Dominanz der Presselandschaft wird über Rassismus, Geschlechtergleichheit und Minderheitenrechte gesprochen, dabei ist bei bestem Willen kein einziger Migrant unter den Demonstranten auszumachen. «Was soll der Scheiß? Wir sind hier wegen des Sklavengesetzes!», ruft jemand aus den Reihen der Jobbik Richtung Bühne dazwischen. «Erschießt Orban», schreit jemand anderes, irgendwer hat einen Galgen mitgebracht, an der ein kleiner Ministerpräsident in Gestalt einer Puppe baumelt. Jede Oppositionskraft darf mal auf die Bühne. Zumindest die Rhetorik ist groß: Wenn die Regierung den Forderungen nicht nachgebe, soll ein Generalstreik ausgerufen werden.

    Neu ist tatsächlich, dass die oppositionellen Strömungen nach Gemeinsamkeiten suchen. «Alleine würden die Gruppen jeweils nur einige Hundert auf die Straße bringen», meint Kiszelly. Die Frage ist, wie lange dieses Zweckbündnis hält. «Die Demonstrationen werden abflauen und vielleicht vor der Europawahl wieder aufflammen. Wenn die Oppositionsparteien dann nicht mit einer gemeinsamen Liste antreten, werden sie keine Chance haben», so der Politikexperte.

    An einem kleinen Galgen baumelt Orban in Gestalt einer Puppe.

    Als der Redemarathon zu Ende und die Veranstaltung aufgelöst ist, bleibt ein harter Kern von vielleicht tausend Demonstranten auf dem Platz. Jobbik und Momentum sind noch dabei, die Fahnen eingerollt, falls es Ärger gibt. Etwas unentschlossen stehen sie der Polizei gegenüber, rufen Parolen, einige haben sich mit Tüchern vermummt. Zwei Silvesterraketen zerplatzen an der neogotischen Fassade des Parlaments. Aber die Farbenrevolution bleibt heute aus. Es wird kälter, aus Regen ist inzwischen Schneeregen geworden. Anita, Valeria und ich verabschieden uns, Tomasz ist schon lange gegangen. Zwei Stunden später ist der Platz leer.


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