Eine „dringende Empfehlung“ des AfD-Bundesvorstandes zur Abgrenzung von außerparlamentarischen Protesten sorgt für Verwirrung. „Wenn sich in den 80er Jahren das Neue Forum als die organisierte Keimzelle der DDR-Reformbewegung von der demonstrierenden Bürgerbewegung auf den Straßen Leipzigs, Dresdens, Berlins oder Plauens distanziert hätte, (…) dann hätten wir heute sicherlich noch das rote DDR-Regime“, kritisierte ein Landtagsabgeordneter den Beschluss.
_ von Lisa Lehmann
Die AfD steht mächtig unter Beschuss. Kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen zeigt das Merkel-Regime der Partei eine seiner schärfsten Waffen und droht mit Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ausdruck der Besorgnis im Bundesvorstand ist ein Beschluss vom 13. September, in dem es heißt: „Auf Grund der Erfahrungen nach den Vorkommnissen in Chemnitz empfiehlt der Bundesvorstand allen Mitgliedern der Alternative für Deutschland dringend, nur an solchen Kundgebungen teilzunehmen, die ausschließlich von der AfD angemeldet und organisiert worden sind.“
(Rundschreiben des Bundesgeschäftsführers Hans-Holger Malcomeß vom 13.9.2018)
Dass diese Haltung längst nicht überall in der Partei geteilt wird, zeigte sich am 15. September auf dem Landesparteitag in Sachsen. In Dresden treten schon seit über einem Jahr regelmäßig AfD-Politiker bei den Kundgebungen von Pegida auf. Der Landesvorsitzende Jörg Urban bekräftigte unter großem Beifall: „Die AfD ist der politische Arm aller gewaltfreien, freiheitlich-demokratischen Bürgerbewegungen.“
Am 16. September fand ein Trauermarsch für den ermordeten Markus B. in Köthen statt, zu dem die Bürgerbewegungen Zukunft Heimat (Cottbus), Pegida, Kandel ist überall, die Vernetzungsplattform Einprozent und COMPACT aufgerufen hatten. Die Mehrheit der Teilnehmer waren AfD-Anhänger, die die „dringende Empfehlung“ ihres Bundesvorstandes entweder nicht kannten oder ignorierten. Außerdem wurden etwa zehn Landtags- und Bundestagsabgeordnete der AfD unter den etwa 2.500 Teilnhmern gesichtet. Lars Hünich, Landesgeschäftsführer der AfD Brandenburger, war der Moderator der Veranstaltung. Der Landtagsabgeordnete Daniel Roi aus dem Wahlkreis Dessau, zu dem Köthen gehört, verteidigte in seiner Rede das Aufruferbündnis explizit: „Ich bin dankbar dafür, dass Ihr hergekommen seid. Die allgemeine Empfehlung des Bundesvorstandes der AfD hat für viel Verwirrung gesorgt. (…) Gewaltaufrufe und Aufwiegelung lehnen wir ab, das möchte ich auch ganz klar hier und heute sagen, meine Damen und Herren. ‚Zukunft Heimat‘ ist heutiger Veranstalter, und ich möchte klar sagen, so was gibt es mit Zukunft Heimat aus Cottbus nicht, und so was gibt es auch mit Pegida Dresden nicht, und so was gibt es auch nicht mit dem Bündnis ‚Kandel ist überall‘, und selbst von der Identitären Bewegung sind mir nur gewaltfreie Kunstaktionen bekannt. Wenn die IB in Berlin das Brandenburger Tor erklimmt, dann steht die Republik Kopf, wenn Greenpeace das Tor erklimmt, dann klatscht diese Republik. Das ist ein gutes Beispiel für die linke Doppelmoral des Establishments in diesem Land, und genau das zeigt in welcher Situation sich unser Land befindet. Wir stehen zum friedlichen Protest, auch wenn es sich um eine Kunstaktion handelt wie in Berlin am Brandenburger Tor.“
Am 16. und 17. September trafen sich die Fraktionsvorstände aus allen AfD-Landtagsfraktionen sowie der Bundestagsfraktion im sächsischen Freiberg. In der dort verabschiedeten Resolution wurde die „dringende Empfehlung“ des Bundesvorstands nicht aufgegriffen, sondern eine Kompromissformulierung versucht: „Bei der Debatte um die Bewertung von Demonstrationen darf nicht vergessen werden, dass diese eine Reaktion auf die Politik der Altparteien sind. Die Merkel`sche Grenzöffnung spaltet die Gesellschaft. Wir verteidigen das Grundrecht aller Deutschen, friedlich und ohne Waffen zu demonstrieren.“
COMPACT hat weitere Landtags- und Bundestagsabgeordnete um Stellungnahmen gebeten. Hier ein erster Zwischenstand. Weitere Diskussionsbeiträge sind willkommen.
Jessica Bießmann, MdA, Berlin: „Die Mitglieder der AfD sind freiheitlich-patriotische Bürger, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Der parlamentarische Arm für konservative Bürger, die sich vom gesunden Menschenverstand und nicht von linksgrünen Utopien leiten lassen, ist und bleibt auf lange Zeit die AfD, nachdem die CDU/CSU unter Merkel die Öko-, Links – und Sozialpopulisten links überholt hat und die FDP außer Selbstverliebtheit ihres Königs nicht viel zu bieten hat. Als Opposition setzen wir täglich Nadelstiche und decken das Versagen der schon länger hier Regierenden auf, mehr lässt sich ohne Regierungsverantwortung nicht erreichen. Wäre das alles, würde das sich im Untergang befindliche Merkel-Regime nicht so um sich beißen und bellen. Nur Eines fürchten Merkel und ihre Systemlinge wie der Teufel das Weihwasser: den Schulterschluss aller freiheitlich-patriotischen Bürger, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Ein Zusammengehen von Pegida, dem Frauenbündnis Kandel, Zukunft Heimat, Demo für Alle und vieler anderer mutiger patriotischer Bewegungen auf Deutschlands Straßen und der AfD in den Parlamenten ist der Alptraum für die Kanzlerin der Ausländer. Ihre Lügen werden immer dreister, die Meinungsfreiheit als höchstes Gut der Demokratie wird jeden Tag mehr eingeschränkt. Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren! Nur gemeinsam sind wir stark und auf den Straßen werden wir gesehen und gehört!“
Andreas Mrosek, MdB, Sachsen-Anhalt: “Vom Volk bin ich in den Bundestag gewählt worden und wenn dieses Volk friedlich auf die Straße geht, ist es meine patriotische Pflicht, dabei zu
sein! Die AfD ist ein nur kleiner Teil der friedliebenden deutschen Bevölkerung! Als politischer Interessenvertreter des Volkes verteidigt die AfD dessen Heimat, Kultur und Werte. Deshalb gilt ein Schulterschluss mit allenVereinigungen und Bürgerbewegungen, die die gleichen Ziele verfolgen und sich klar und deutlich von jeglichen Formen des Extremismus abgrenzen! Die Strategie der Merkel-Regierung ist klar; wer ihr nicht zustimmt oder gar Widerstand leistet, ist rechtsextrem. Mit Fake-News-Verbreitung glänzt diese Regierung. Mir soll man einmal aufzeichnen, wo Ein-Prozent, Identitäre Bewegung, Pegida und andere Bewegungen Menschen erschlagen, erstochen, vergewaltigt oder misshandelt haben. Ich weiß davon nichts!“
André Poggenburg, MdL, Sachsen-Anhalt: „Wir müssen immer wieder auf die Straße, um den Druck zu erhöhen und klarzumachen, dass diese Morde durch illegale Einwanderer einen politischen Hintergrund haben und die Merkel-Riege daran Mitverantwortung trägt. Weder von linken oder rechten Chaoten noch vom Bundesvorstand unserer Partei lasse ich mich davon abhalten.“
Mario Lehmann, MdL, Sachsen-Anhalt: „Liebe Kollegen des Bundesvorstandes, in stürmischen Zeiten machen wir uns alle Gedanken über das richtige Was und Wie unseres Vorgehens. Zur Zeit werden wir von Diskussionen durchgeschüttelt, ob es gut oder schlecht ist, sich als Parteimitglied gemeinsam mit den wöchentlich immer mehr werdenden unzufriedenen Menschen auf den Straßen und Plätzen unseres Landes zu versammeln. Mut hat mir gemacht, dass ich am letzten Sonntag in Köthen/Anhalt sehr viele Parteimitglieder und Mandatsträger bei der Trauerveranstaltung zu Markus B. sehen konnte. Nur so kann es der richtige Weg sein. Die AfD darf sich nicht als Salon-Partei in der warmen Teppichetage darstellen.
Als gelernter DDR-Bürger kann ich Ihnen sagen: Wenn sich in den 80er Jahren das Neue Forum als die organisierte Keimzelle der DDR-Reformbewegung von der demonstrierenden Bürgerbewegung auf den Straßen Leipzigs, Dresdens, Berlins oder Plauens distanziert hätte, nur um bei der herrschenden SED und deren Staatssicherheit auf Schönwetter zu machen und keinerlei Angriffsfläche zu bieten, dann hätten wir heute sicherlich noch das rote DDR-Regime an den Hebeln der Macht gehabt. Wenig später saß genau dieses ungebeugte Neue Forum am Runden Tisch und wickelte die SED-Macht und die Stasi in kurzer Zeit ab…
Ich halte zwar wenig von den Mandatsträgern der Grünen oder Linken. Aber wenn deren Klientel auf den Straßen steht, dann sind deren Abgeordnete dort stets in der ersten Reihe zu finden, um ihren Demonstrationsteilnehmern den Rücken zu stärken und diese vor den Zugriffen der Polizei zu schützen.
Diesen Leuten wird durch deren eigene Bundesvorstände nicht das Leben schwer gemacht und letztendlich schadet es deren Mandatsträgern in keiner Weise. Abgeordnete wie Gysi, Trittin, Künast, Roth, usw., die mehr als einmal von Polizeibeamten aus Sitzblockaden weggetragen worden sind, stehen heute unbeschädigt in den höchsten Ämtern dieses Staates. Vielleicht sollten alle hierüber einmal nachdenken.“
Corinna Herold, MdL, Thüringen: „Von Anfang an war Pegida Dresden die außerparlamentarische Opposition. Nur mit Pegida sind wir als Partei in Sachsen und anderswo so stark geworden. Die Verlautbarung des Bundesvorstandes zu den Bürgerbewegungen hat Empfehlungscharakter. Wir werden verantwortungsbewußt damit umgehen, vor allem aber unserem Herzen folgen.“
Enrico Komning, MdB, Mecklenburg-Vorpommern: „Den Beschluss des Bundesvorstands, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich schon vor einer Beobachtung unserer Partei durch den Verfassungsschutz mit den möglichen Konsequenzen beschäftigt, finde ich gut und richtig. Die Art und Weise, wie die Regierung in den letzten Tagen mit dem Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen umgeht, lässt nicht erwarten, dass eine Beobachtung nach rechtsstaatlichen Methoden erfolgen wird. Insoweit ist es notwendig, sich schon jetzt zu wappnen. Die an die Mitglieder gerichtete Empfehlung, nur an eigenen Kundgebungen teilzunehmen, ist vor dem Hintergrund einer Beobachtung natürlich verständlich. Sie ist mit Sicherheit nicht darauf gerichtet, die verfassungsmäßigen Rechte von AfD-Mitgliedern zu beschneiden und bestimmt auch nicht so gemeint. Die AfD ist eine Rechtsstaatspartei, und unsere Mitglieder wissen auch um ihre Verantwortung, wie man sich auf Demonstrationen und Kundgebungen zu verhalten hat, nämlich vor allem gewaltfrei.“
Hans-Thomas Tillschneider, MdL, Sachsen-Anhalt: „Die Warnung vor fragwürdigen „Bürgerbewegungen“ – ich sage nur ‚Thügida‘ – kann ich nachvollziehen, einen Rückfall in die Distanzierung von Pegida-Dresden darf es aber nicht geben. Im übrigen sollten wir die Sache nicht so hoch kochen: Der Bundesvorstand hat eine bloße Empfehlung ausgesprochen, und jedes Mitglied entscheidet selbst, in welchem Umfang es sie beherzigt.“
Christina Baum, MdL, Baden Württemberg, stellte unseinen Brief zur Verfügung, den sie an den Bundesvorstand geschrieben hatte: „Ihren Beschluss zur dringenden Empfehlung, an Kundgebungen nicht teilzunehmen, die nicht von der AfD organisiert und angemeldet sind, habe ich irritiert zur Kenntnis genommen. Diese Beschlussempfehlung kommt einer Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gemäß Artikel 8 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gleich. Sie ist deshalb dem Geiste nach grundgesetzwidrig und stellt ein Hindernis dar, die politischen Ziele der AfD im öffentlichen Raum wirksamer als lediglich im parlamentarischen Raum zu verwirklichen. (…)“