Als die ukrainische Nationalheldin Nadija Sawtschenko im Kampf gegen Separatisten in russische Gefangenschaft geriet, erfuhr sie internationale Solidarität. Heute wurde sie in der Ukraine dem Strafrichter vorgeführt und nach fast 10stündiger Gerichtsverhandlung für 50 Tage in Untersuchungshaft eingekerkert ohne die Möglichkeit, gegen Kaution frei zu kommen. Anklage: Pläne für einen Putsch. Und – werden europäische Politiker sich wieder für sie einsetzen?

    _von Alexander Sviridov

    So eine Kehrtwende hätte sich kein Fantasy-Autor besser auszudenken können: Nadija Sawtschenko, Hauptmann der ukrainischen Streitkräfte, Kampfpilotin und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, Heldin der Ukraine und Freiheitsikone vieler Ukrainer, wurde gestern vom ukrainischen Sicherheitsdienst festgenommen und heute dem Haftrichter vorgeführt. Gestern hat das Parlament für Aufhebung ihrer Immunität und Erlaubnis ihrer Verhaftung votiert. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr Umsturzpläne vor.

    Eigentlich braucht man die Geschichte der Heldin im Westen nicht zu erzählen. Nur die ganz trägen Medien haben seinerzeit nicht darüber berichtet. Nadija Sawtschenko, die 2014 im Osten der Ukraine gegen Separatisten als Mitglied des Freiwilligenbataillons Aidar kämpfte, geriet in russische Gefangenschaft und wurde des Mordes an den zwei russischen Fernsehjournalisten Igor Korneljuk und Anton Woloschin, die an der Frontlinie eine Reportage gedreht hatten, beschuldigt.

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    Eine Unterstützungskampagne ungeahnten Ausmaßes brach nicht nur in der Ukraine los. Hashtags #FreeSavchenko und #SaveOurGirl lösten Millionen von Tweets aus. Süddeutsche, BBC, Spiegel, Frankfurter Allgemeine, The Wall Street Journal, CBC, Radio Free Europe/Radio Liberty, Wiener Zeitung, Welt, Neue Zürcher Zeitung und sogar die Bundeszentrale für politische Bildung – unisono verurteilten westliche Medien Russland für die „illegal“ im Gefängnis gehaltene Kämpferin.

    Internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen erklärten Sawtschenko erwartungsgemäß zum „politischen Häftling“. In der Ukraine wurde Nadeshda Sawtschenko im November 2014 in Abwesenheit zur Parlamentsabgeordneten gewählt – als Nummer 1 der Partei „Batkiwschtschyna“ von Julija Timoschenko. Einen Monat später ernannte sie (noch immer als Häftling im russischen Gefängnis) das ukrainische Parlament zum Mitglied der ständigen Delegation der Ukraine in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg.

    Damit bekam die Pilotin nicht nur internationale Immunität des Europarates, sondern auch die Unterstützung der europäischen Politiker. Im Februar 2015 stellten sich EU-Außenminister in Brüssel zu einem Gruppenfoto auf, in den Händen ein Bild von Sawtschenko mit der Aufschrift „Wir rufen Russland dazu auf, die illegal festgehaltene ukrainische Pilotin frei zu lassen“.

    Präsident Petro Poroschenko klinkte sich ein und verlieh Sawtschenko den höchsten ukrainischen Titel der Heldin der Ukraine – für die „Unbesiegbarkeit an Willen, Zivilcourage, Opferdienst für das ukrainische Volk“. Im ukrainischen Parlament hing auf dem Rednerpult jahrelang ein Plakat „Freiheit für Nadija Sawtschenko“.

    Die Parlamentarische Versammlung der OSZE verfasste 2015 eine Resolution „Zu verschleppten und illegal festgehaltenen ukrainischen Bürgern in der Russischen Föderation“: Sie „bedauert, dass die Russische Föderation weiterhin ihre rechtlichen Verpflichtungen aus dem Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates ignoriert, indem sie Nadija Savtschenko hinter Gittern hält“ und forderte ihre Freilassung.

    Trotz dieser weltweiten medialen Kampagne wurde Sawtschenko vom russischen Gericht zu 22 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Und wieder schrieben die Medien von einem politischen Urteil und forderten die Freilassung. Dem schlossen sich 2016 auch fast 300 Menschen an, die in diesen Medien stets als „Intellektuelle“ bezeichnet wurden: Sie forderten von den europäischen Regierungen, „entschlossene Schritte zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung von Nadija Sawtschenko zu unternehmen“.

    Schließlich wurde Sawtschenko im Mai 2016 im Austausch gegen zwei russische Staatsbürger, die in der Ostukraine gefangengenommen worden waren, freigelassen. Auf dem Kiewer Flughafen wogte ein Meer von Kameras, als Sawtschenko dort aus Russland landete. Ukrainische Fernsehsender berichteten stundenlang online darüber; Präsident Poroschenko kam persönlich zum Flughafen.

    Nach fast zwei Jahren in Freiheit steht die Heldin heute erneut vor Gericht – jetzt vor einem ukrainischen Haftrichter. Die Staatsanwaltschaft zeigte gestern den Abgeordneten halbstündige Audio- und Videoaufzeichnungen, in dem eine Person, die Sawtschenko ähnelt, Pläne für eine blutige Machtübernahme in Kiew bespricht – mit völliger Zerstörung des gesamten Regierungsviertels, Mörserbeschuss des Parlaments, Tötung des Präsidenten und aller Abgeordneten.

    „400.000 Leichen“ hat die Staatsanwaltschaft aus den Geheimgesprächen herausgehört. Daraufhin wurde Sawtschenko, die gestern ihre Heldenurkunde den Parlamentariern noch einmal zeigte, festgenommen. Sawtschenko selbst erklärte, ganz übereinstimmend mit der russischen „Propaganda“, die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan im Februar 2014 seien nicht die „Revolution der Würde“, sondern ein Staatsstreich gewesen. Und schließlich träume ja jeder Ukrainer davon, das Parlament in die Luft zu sprengen.

    Als die Pilotin im Mai 2016 aus dem russischen Gefängnis freigelassen wurde, twitterte die (anti)deutsche Grüne Rebecca Harms: „Nadya is free! I am very glad. Hope to meet her in real life soon in #kyiv”.

    Heute antwortete ihr ein gewisser К.M.‏@Wallander_C: „Hi, Becca! Time to start second round for #FreeSavchenko?”. Das ist auch meine Frage: Werden sich jetzt europäische Politiker in Reih und Glied zum Bild aufstellen – mit dem Poster: „Freiheit für Nadija Sawtschenko“?

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