Die türkische Regierung gerät wegen des Verfalls der Lira immer weiter unter Druck. Diese Krise hält ihren Präsidenten offenbar jedoch nicht davon ab, seine Sicherheitsbehörden gnadenlos weiter gegen Kritiker und Oppositionelle vorgehen zu lassen. Solche Leute bekommen seine Macht nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland zu spüren.
Laut der Süddeutschen Zeitung zum Teil auch mit Unterstützung von BRD-Behörden. So wie beispielsweise im Fall von Ibrahim Ö. in Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern. Der seit Jahren in Deutschland lebende Türke soll bei Facebook insgesamt vier Erdogan-kritische Beiträge geteilt haben. Wohlgemerkt: Er hat sie geteilt und nicht selbst verfasst! Aber selbst wenn er der Urheber wäre, ist das ein Grund für ein Strafverfahren? Für die türkische Staatsanwaltschaft offenbar schon.

Die türkischen Behörden in Igdir eröffneten das Strafverfahren gegen Ibrahim Ö. und warfen ihm Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung PKK und Beleidigung des Staatspräsidenten der Türkei vor. Aber was rechtfertigt diese Vorwürfe? Seine Beiträge sind ganz und gar nicht terroristisch.
Man sollte sie eher als harmlose Satire abtun. Bei den von Ibrahim Ö. geteilten Inhalten geht es laut NDR beispielsweise um ein kurdisches Wortspiel, in dem Erdogan als „Kerdogan“ bezeichnet wurde, auf Deutsch „Esel“. Trotzdem bekommt er deswegen jetzt Probleme, obwohl er sich in Deutschland und nicht in der Türkei befindet. Aber Erdogans langer Arm reicht bis hierher, wie man immer wieder sehen kann: beispielsweise an dem Abstimmungsverhalten seiner hiesigen Anhänger.
Das auch der bundesdeutsche Rechtsstaat ihm hilft, ist ebenfalls bedenklich, zumal andere Bundesländer laut NDR solche Anfragen wegen der offensichtlichen politischen Brisanz unbeantwortet lassen. Die türkische Staatsanwaltschaft wandte sich wie schon so oft in einem Rechtshilfeersuchen über das Generalkonsulat in Berlin direkt an die zuständige Staatsanwaltschaft, in diesem Falle die von Neubrandenburg, und bat um die Vernehmung des Mannes. Das Beunruhigende in diesem Fall ist, dass man dem Gesuch tatsächlich nachkam.
Ibrahim Ö. wurde von der Polizei vorgeladen und als Beschuldigter „des Verdachts der Beleidigung zum Nachteil des türkischen Präsidenten Erdogan“ vernommen. Den Terrorverdachtsvorwürfen wollte die Neubrandenburger Staatsanwaltschaft allerdings nicht nachgehen.
Ö.s Rechtsanwalt, Lukas Theune, kritisierte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, seinen Mandanten zu vernehmen. Seines Erachtens ist dieses Vorgehen höchst fragwürdig: „Nach deutscher Rechtsprechung lässt sich der Tatbestand einer Beleidigung nicht durch das Teilen von Facebook-Beiträgen anderer verwirklichen, sodass hier schon kein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht. Wenn die Staatsanwaltschaft nun auch noch die persönlichen Daten meines Mandanten an die türkischen Behörden übersendet und ihn und seine Familie damit gefährdet, ist der Justizskandal komplett.“
Ursprünglich wollten die Neubrandenburger Staatsanwälte die Aussage nämlich tatsächlich an das türkische Generalkonsulat übermitteln. Auf Antrag des Rechtsanwaltes befindet sich der Vorgang nun in Klärung. Ibrahim Ö. sagte gegenüber dem WDR: „Ich ärgere mich, dass deutsche Behörden Erdogan helfen. Alle meine Daten stehen in der Akte, Adresse, Telefonnummer. Das ist nicht gut. Ich habe keine Angst, aber beim türkischen Geheimdienst weiß man nie was passiert.“

Aber man kann es sich gut vorstellen. Und man weiß ja, wie selbst bundesdeutsche Politiker mit türkischen Wurzeln bedroht und eingeschüchtert wurden, nachdem sie beispielsweise mit der Armenien-Resolution eine Entscheidung trafen, die Erdogan nicht gefiel. Dass diese Resolution vor allem dem Zweck diente, den Deutschen einen weiteren Schuldkult aufzuladen und besagte Politiker vom Schlage eines Cem Özdemir auch sonst nicht gerade zum Wohle Deutschlands handeln, rechtfertigt Erdogans Vorgehen gegen sie nicht.
Es zeigt sich damit allerdings, dass weder Politiker noch einfache Bürger wirklich sicher sind vor Erdogans langem Arm.