Endlich wieder eine neue Verbots-Debatte. Nachdem man das Rauchen aus öffentlichen Räumen verbannt hatte, außerdem Diesel, Prostitution, sexy Werbung und Meinungsfreiheit im Internet entweder eingeschränkt oder deren Abschaffung zumindest kräftig debattiert hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Verbotsfetischisten ein neues Objekt der Begierde finden würden.
Je weniger Politik und Mainstream-Diskurse an positiven Visionen bieten, desto mehr setzen sie auf Verbote: Die Zukunft wird gut, wenn der Bürger dies oder jenes unterlässt. Die westliche Kultur entdeckt das Verbot als Utopie, als Weg zur „guten Gesellschaft“: Vom Elektroauto, #metoo-Auflagen bis zur politisch korrekten Sprachregulierung.
Und damit es in Deutschland ruhig bleibt, es nicht wie in Frankreich heftig knallt, will man gleich das private Feuerwerken zu Silvester abschaffen. Okay, man muss das Geböller nicht mögen, es aber gleich wieder verbieten? Die Lust am akkusisch beruhigten Silvester steigerte sich in den letzten Jahren. Jetzt, 2018, ist es soweit: Laut einer Umfrage sind 60 Prozent der Bundesbürger gegen privates Böllern. Also forderte Deutschlands Märchen-Magazin Nummer 1, der Spiegel, per Schlagzeile: „Böllern an Silvester – Her mit dem Verbot!“ Her mit dem Verbot! Das klingt freiheitlich.
Der Autor, Severin Weiland, als ehemaliger taz-Redakteur mit gutmenschlicher Verbotskultur bestens vertraut, jammert gleich zu Beginn, dass er nach Silvester nicht mehr mit dem Fahrrad durch Berlins Straßen strampeln könne: Scherben überall. Nein, der Spiegel-Ästhet kann vermüllte Straßen an tristen Januarttagen einfach nicht ertragen. Es deprimiert ihn. Also will er am kommenden Silvester die Böllerstadt verlassen… (Soll das eine Drohung sein?)
Zwar gesteht der Autor ein, früher auch geballert zu haben – aber!… er und seine Kids hätten danach sofort den Müll beseitigt. Tja, wenn alle so wären wie der Ex-tazler. Sind sie aber nicht. Die warten lieber auf die „Helden der Stadtreinigung“. Aber Weiland hat noch aus anderen Gründen kein Spaß mehr am Feuerwerk: Glaubt er doch, in der Stadt eine „zunehmende, hemmungslose Entgrenzung“ zu registrieren. Die übliche Niedergangs-Phantasie: „Seit Jahren gibt es diese Neujahrsmeldungen: Polizisten, Feuerwehrmänner, Krankenhelfer werden attackiert, im vergangenen Jahr gab es allein in Berlin weit mehr als tausend Polizeieinsätze, Hunderte Brände und viele Schwerverletzte.“ Übrigens falsch: Ende Neunziger ging es bei Berliner Silvester-Feiern wesentlich heftiger zu.
Als Autor des Relotius-Magazins, das jede Schweinerei der Regierung verteidigt (inzwischen auch die Hartz-Gesetze), folgert er: „Eigentlich wissen die meisten, dass es mit dieser Rücksichtslosigkeit längst ein Ende haben müsste.“ Um dies durchzusetzen, wäre ihm jedes Argument recht, auch wenn er selber nicht dran glaubt: „Meinetwegen sollen sie auf das Argument der Feinstaubbelastung durch das Böllern zurückgreifen, wenn es denn sein muss. Hauptsache, das private Böllern wird eingeschränkt oder am besten – ganz abgeschafft. Dann würde ich das neue Jahr auch gern wieder in Berlin begrüßen.“ – Der letzte Satz ist wirklich nur als Drohung aufzufassen.
COMPACT 1 / 2019: Revolution in Europa: Paris brennt, Berlin pennt
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