Avnery ereilte sein Ende beim Kampf um Gerechtigkeit und Frieden zwischen Palästinensern und jüdischen Israelis. Am Samstag vor zwei Wochen machte sich Uri auf den Weg zum Rabin-Platz in Tel-Aviv, um dort an einer Demonstration gegen das sogenannte Nationalitätsgesetz teilzunehmen, ein Gesetz, das Avnery als „halbfaschistisch“ bezeichnete, da es Israel als rein jüdischen Nationalstaat definiert. Er erlitt einen Schlaganfall, dem er in der Nacht zum Montag erlag.

    Der folgende Nachruf muss natürlich ein Fragment bleiben: Uri Avnery, der in einem Monat 95 Jahre alt geworden wäre, hat in vielen Jahrzehnten unermüdlich gekämpft, geschrieben, seine Stimme erhoben. Selbst die Lektüre seiner Websites, wie zum Beispiel  gush-shalom.org oder uri-avnery.de, kann dem geneigten Leser lediglich einen Einblick in sein Schaffen geben…

    1923 wurde Avnery als Sohn einer etablierten deutsch-jüdischen Familie, ursprünglich aus dem Rheingebiet, im nordrhein-westfälischen Beckum geboren. Sein Vater, Privatbankier und Zionist, brachte 1933 die Familie nach Palästina. Avnery erlebte noch das erste halbe Jahr des Nazi-Regimes als einziger Jude in der Schule, und seine Eindrücke der letzten Jahre der Weimarer Republik und des Beginns der NS-Zeit prägten seine Erinnerungen.

    Interview mit Avnery: vor vier Jahren in der COMPACT 8_2014

    1938, kurz bevor er 15 wurde, trat er in Palästina dem Irgun-Untergrund (einer terroristischen Militärorganisation) bei, um gegen das britische Kolonialregime zu kämpfen. Er diente drei Jahre lang, verließ die Irgun jedoch aus Protest gegen dessen antiarabische und reaktionäre soziale Einstellungen und terroristische Methoden. Mehr als 60 Jahre später, kurz nach 9/11, saß Avnery in einer deutschen Talkshow. Der zierliche Mann mit schlohweißem Haar und Bart und den strahlend blauen Augen insistierte, dass er, der jüdische Israeli, der einzige Teilnehmer in der Runde wäre, der tatsächlich einmal Terrorist gewesen sei. Die deutschen Diskutanten waren komplett überfordert und übergingen sein Bekenntnis mit verlegenem Schweigen…

    Die endgültige Abkehr vom Zionismus kam 1948, als Avnery im Eroberungskrieg der Zionisten, auch „al-Nakba“ genannt (arabisch für die Katastrophe: die Vertreibung und Ermordung von fast einer Million Palästinensern), für die israelische Armee kämpfte und schwer verwundet wurde. Er beschrieb später, in In den Feldern der Philister, Kriegstagebuch, wie er angeschossen am Boden lag und sein einziger Gedanke war, dass Israel und auch somit er, einen falschen Weg eingeschlagen hätten.

    Palästina 1948, al-Nakba: Beginn der ewigen Flucht. Foto: hanini.org, CC-BY-3.0

    Fortan setzte Avnery sich für eine Verständigung zwischen Palästinensern und Juden in Israel ein. Seine Vision: ein Staat mit gleichen Rechten, ohne Diskriminierung, ein friedliches Zusammenleben von Palästinensern und Juden. Er arbeitete als Journalist, Friedensaktivist, gründete unter anderem die Friedensinitiative Gush Shalom und war für drei Legislaturperioden (zwischen 1969 und 1981) Parlamentsabgeordneter in der Knesset.

    Avnery schrieb zahllose Artikel zu aktuellen und historischen Ereignissen im Spannungsfeld Palästina-Israel und der hierzu relevanten internationalen Politik. Seine Texte waren stets klare Analysen, pointiert, dabei oft warmherzig und humorvoll.

    Als politischer Aktivist überschritt er oft Grenzen, gerade weil er auf Verständigung mit den Palästinensern setzte. Er blieb unbeirrt, auch als er im Jahr 1975 nur knapp ein Attentat überlebte. Er hatte zeitlebens viele Gegner, die die zionistischen und nationalistischen Ideale durch ihn bedroht sahen. Berühmt der Tabubruch 1982: Auf dem Höhepunkt der Schlacht von Beirut traf Avnery als erster Israeli öffentlich den „Führer des Feindes“, Yassir Arafat.

    Der große Tabubruch: Arafat empfängt Averny in Beirut im Libanon-Krieg 1982| Foto: Uri Avnery, CC BY-SA 4.0

    Der Dialog der beiden Männer sollte bis zur Ermordung Arafats bestehen bleiben. Avnery schrieb 2012 in seiner Gush-Shalom-Kolumne: „Aber Arafat war über persönliche Erwägungen hinaus der Mann, der in der Lage war, Frieden mit Israel zu schließen, und bereit war, dies zu tun, und – noch wichtiger – sein Volk, einschließlich der Islamisten, dazu zu bringen, es zu akzeptieren. Dies hätte dem Siedlungsunternehmen ein Ende gesetzt. Deshalb wurde er vergiftet.“

    Noch im hohen Alter nahm der energische Avnery nicht nur an Demonstrationen teil, sondern packte selbst auch kräftig mit an, wenn es Not tat: Die israelische Besatzungsarmee verbietet regelmäßig palästinensischen Bauern den Zutritt zu ihrem Land. Um die nur alle zwei Jahre stattfindende Olivenernte nicht zu gefährden, von denen die Existenz der Bauern abhängt, wurden Avnery und seine jüdischen Mitstreiter immer wieder zu Erntehelfern – die Armee konnte sie, da sie Juden waren, nicht daran hindern.

    Der Kampf wird weitergehen. Immer mehr jüdische Aktivisten erheben die Stimme und klagen an: Miko Peled, Moshe Zuckermann, Norman Finkelstein, die Organisationen Breaking the Silence – um nur einige zu nennen – und natürlich weiterhin Uri Avnerys Gush Shalom.

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    Mitstreiter Adam Keller schreibt in seinem Nachruf auf uri-avnery.de: „Am Tag von Uri Avnerys Tod nahm die am stärksten rechtsgerichtete Regierung, die Israel in seiner Geschichte jemals hatte, Verhandlungen mit der Hamas auf. Ironischerweise werden jetzt dieselben demagogischen Anschuldigungen, mit denen Uri Avnery überschüttet wurde, gegen den Verteidigungsminister Avigdor Lieberman erhoben.“

    Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Die Menschen werden Uris Mission fortführen und sein Gedächtnis in Ehren halten.

    Hier geht’s zum Interview auf COMPACT-Online (2014) mit Uri Avnery zum Gaza-Krieg: «Netanjahu will die palästinensische Einheit zerstören»

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