Gesprächsstoff für Erdogan-Staatsbesuch: Hat der deutsche Softwarehersteller FinFisher Überwachungstechnik an die Türkei geliefert? Hat die türkische Regierung diese gegen Oppositionelle eingesetzt? Und hat die Bundesregierung davon gewusst? Der Besuch des türkischen Regierungschefs wäre die Gelegenheit, die Hintergründe aufzuklären.
_ von Johann Jungen
Ab kommenden Freitag wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Deutschland erwartet. Außenminister Heiko Maas (SPD) verteidigte den Termin im Vorfeld gegen Kritiker mit dem Hinweis, man habe „viel zu besprechen“. Neben Fototerminen und Händeschütteln mit Regierungsbeamten steht noch die umstrittene Einweihung der zentralen Ditib-Moschee in Köln auf dem Programm. Dort werde Erdogan auch eine „kurze Ansprache“ halten.
Überschattet wird das Staatsbankett von einem bislang kaum bekannten Skandal: Es liegen Hinweise darauf vor, dass die türkische Regierung Oppositionelle im eigenen Land mithilfe deutscher Abhörtechnik überwacht hat. Schon Ende Juli veröffentlichte die Bundesregierung ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion (Drucksache 19/2544 bzw. 19/3334), die bislang keine größere Beachtung fand. Offenbar scheint sich kein deutscher Journalist für die Frage zu interessieren, ob bei der Bekämpfung des politischen Gegners in der Türkei Grenzen überschritten und Gesetze gebrochen wurden – und ob Merkel und Maas dabei Mitverantwortung tragen.
Die AfD hatte unter Initiative ihres Außenpolitikers und Obmanns im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Petr Bystron, Anfang Juni wissen wollen, was an den Gerüchten über die Nutzung deutscher Spionagesoftware in der Türkei wirklich dran ist. Berichten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zufolge waren im Rahmen von Protesten gegen Erdogan unter dem Titel „Marsch für Gerechtigkeit“ in der Türkei im Sommer 2017 mehrere tausend Demonstranten Ziel von Überwachungsmaßnahmen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu am 14. Mai: „Deutsche Späh-Software für Smartphones ist offenbar in der Türkei zum Einsatz gekommen, um die größte Oppositionspartei CHP auszuspionieren.“ Weiter hieß es damals in der SZ, dass bislang „unklar“ sei, wie „die brisante Software in die Türkei gelangen konnte“. Denn: „Für die Technik gelten strenge Exportregeln.“
Die AfD will’s genauer wissen
Die ARD fragte für ihre damalige Berichterstattung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin an. Dort erklärte man, „man habe nach Oktober 2014 überhaupt keine Exportlizenzen für Intrusion-Software erteilt. Eine konkrete Anfrage, ob auch die Firma FinFisher keine derartige Lizenz erhalten habe, ließ das Wirtschaftsministerium unbeantwortet. FinFisher selbst wollte zu den Vorwürfen nicht Stellung beziehen“, wie man aus der Anfrage der AfD erfährt.
Nachdem die Staatsmedien ihre halbherzigen Rechercheversuche eingestellt und auch große Zeitungen sich mit dem Schweigen der Firma FinFisher und des Ministeriums zufrieden gegeben hatten, trat die AfD auf den Plan. Sie witterte einen Skandal, sollte sich herausstellen, dass doch – entgegen der „strengen Exportregeln“ – eine Ausfuhr der Technologie erfolgt war. Immerhin musste die Frage geklärt werden, wie die Türkei an die Software gelangen konnte. Dass türkische Behörden sie einsetzten, daran besteht kein Zweifel: Die Nichtregierungsorganisation Access Now hatte zuvor mit ihren Experten durch die Analyse des Quellcodes des Programms nachweisen können, dass es sich definitiv um „FinSpy“, also um ein Produkt der deutschen Softwareschmiede handelt.
Auf AfD-Nachfrage erklärt die Bundesregierung dazu: „Die Ausfuhr von Überwachungssoftware bedarf (…) seit dem 1. Januar 2015 EU-weit einer Genehmigung.“ Und weiter: „Die der Bundesregierung bekannten Intrusion-Softwareprodukte der Firma FinFisher unterlägen im Falle einer Ausfuhr der Genehmigungspflicht.“ Es kann also kein Vertun geben: Wenn Erdogan die Software benutzt hat, musste er dafür auch grünes Licht der Bundesregierung bekommen haben.
Schließlich werden alle Ausfuhrvorhaben „stets im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen vorgenommen“, versichert die Regierung den Fragestellern. Und selbstverständlich sei auch die „menschenrechtliche Lage im Empfängerland“ ein entscheidender „Teil der Bewertung“. Ausfuhrgenehmigungen würden deshalb „bei hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zu Zwecken innerer Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen nicht erteilt.“ Das klingt beruhigend. Aus Sicht der Bundesregierung scheint eine Ausfuhr der umstrittenen Technik an Erdogans Staatsapparat damit also ausgeschlossen.
Verschlusssache FinFisher
Tatsächlich stellt sich aber heraus: Das genaue Gegenteil scheint der Fall. Eine Ausfuhrgenehmigung für die besagte Software an die Türkei gab es nie. Auf die Frage, für welche Länder die Bundesregierung bisher Genehmigungen ausgestellt hat, lautet die Antwort klipp und klar:
Seit Einführung der Ausfuhrgenehmigungspflicht zum 1. Januar 2015 hat die Bundesregierung keinem Unternehmen eine Genehmigung für die Ausfuhr von Überwachungssoftware erteilt.
Fakt ist aber: Die Türkei hat diese Software eingesetzt. Wie – so fragt man sich also – ist das möglich? Die AfD-Anfrage will deshalb ganz konkret wissen: „Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Verkauf von Spähsoftware des Unternehmens FinFisher an die türkische Regierung oder türkische Behörden?“ Die Antwort: „Die Bundesregierung hat darüber keine eigenen Erkenntnisse.“ Wir halten also fest: Die türkische Regierung hat eine deutsche Software eingesetzt, die sie eigentlich nicht haben dürfte und für die auch nie eine Exporterlaubnis vorgelegen hat oder beantragt worden ist. Faszinierend.
Spätestens als der Fall FinFisher aufgrund der Berichterstattung öffentlich wurde, hätte die Bundesregierung selbst den Vorwürfen auf den Grund gehen müssen. Das ist offenbar nicht passiert. Der AfD-Politiker Bystron will deshalb wissen, wann genau die Bundesregierung eigentlich „Kenntnis davon erhalten“ hat, dass „die türkische Regierung Software des deutschen Herstellers FinFisher möglicherweise gegen Politiker der Opposition eingesetzt hat“. Hier hätte man erwartet, dass die Bundesregierung entweder ihre Kenntnisse offenlegt oder aber völlige Ahnungslosigkeit vorgibt. Beides tut sie nicht, Stattdessen lesen wir das:
„Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Entscheidung gelangt, dass eine Beantwortung dieser Frage nur in eingestufter Form erfolgen kann. Die erbetenen Auskünfte betreffen die Arbeitsweise der Bundesregierung, insbesondere Einzelheiten vertraulicher Kontakte zu anderen Regierungen. Diese Kontakte könnten in Gefahr geraten, was zu einem schweren Schaden für die Bundesrepublik Deutschland führen könnte.“ Man habe, so heißt es weiter, aus diesem Grund die Information als „Verschlusssache“ mit dem „VS-Grad: ‚Geheim‘ eingestuft.

Wir halten fest: Auf die Frage, wann die Regierung von der möglichen Nutzung deutscher Spähsoftware durch türkische Behörden erfahren hat, erhalten wir keine Antwort. Stattdessen wird auf besondere Geheimhaltungsinteressen verwiesen. Darf man daraus schließen, dass der Bundesregierung doch Informationen über eine möglicherweise illegale Überwachung von Oppositionellen vorliegen? Gerne würde man wissen, welche „vertraulichen Kontakte“ in „Gefahr geraten“ könnten, würde man diese Informationen preisgeben. In jedem Fall scheint bei dem Thema noch erheblicher Klärungsbedarf zu bestehen. Ob Vertreter der Bundesregierung oder Außenminister Maas persönlich für Aufklärung sorgen werden, ist zu bezweifeln. Man darf befürchten, dass die außenpolitisch äußerst schwache deutsche Regierung zum Erdogan-Staatsbesuch Schönwetter-Politik machen und unangenehme Gesprächsthemen galant unter den Teppich fallen lassen wird.
_ Johann Jungen ist freier Journalist und Autor und lebt derzeit in Berlin.