Der Berliner Senat schickte, wieder einmal, seine Polizei, um friedlichen Bürgerprotest zu zerschlagen. Aber wir waren auch nicht gut vorbereitet auf die Aggressivität der Gegenseite.

    Wieder ein schwarzer Tag für Deutschland: Das Ermächtigungsgesetz wird beschlossen, die Ausschaltung von Gewaltenteilung und Föderalismus, der ewige Lockdown. In letzter Minute haben sich die Corona-Kritiker und Querdenker zum gemeinsamen Protest zusammengerauft: Anders als am 18. November, bei der vorhergehenden Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, ruft dieses Mal auch die zentrale Querdenker-Struktur um Michael Ballweg dazu auf. Entsprechend höher fällt die Teilnehmerzahl dieses Mal aus.

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    Ich treffe um 9 Uhr auf der Straße des 17. Juni am sowjetischen Panzerdenkmal ein. Die Sonne lacht, gelöste Stimmung, etwa 3.000 Leute. Eine halbe Stunde später sind es schon doppelt so viel. Thorsten Schulte trifft ein, der im Vorfeld mit eigenen Kundgebungen ganz entscheidend mobilisiert hat, der Vlogger Elijah Tee, später Anselm Lenz. Wir erreichen die Bühne etwa 300 Meter vom Brandenburger Tor entfernt, angemeldet von den Berliner Querdenkern.

    Rechtsanwalt Markus Haintz spricht als einer der ersten, beherzt und feurig auch an die Adresse der Polizisten. Er betont die Einheit der Bewegung und kündigt, eine Premiere für eine zentrale Querdenker-Aktion, als einen der nächsten Redner den AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller an. Erfreulich: In der Stunde der größten Not fällt die Abgrenzung zur dämonisierten Oppositionspartei. Alle zusammen, das ist die Devise!

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    Trotzdem hält es mich nicht lange an der Hauptbühne, ist mir zu stationär, ich ziehe ans andere Ende, Richtung Siegessäule. Dort hat die Polizei ihre Sperren zurückgenommen und die Masse drängt nach. Angeführt wird sie von einem Piano, das mit Lautsprecher verstärkt ist, und am Mikrofon ist der ehemalige Stuttgarter Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner. Er intoniert „Freiheit“ von Müller-Westernhagen, „Die Gedanken sind frei“ und immer wieder unsere Nationalhymne. Die 10.000 im Schlepptau von Fiechtner singen begeistert, fast erlöst mit. Dieser Tag, das ist jetzt schon klar, hat ein deutlich patriotischeres Gepräge als die Mega-Demos an gleicher Stelle im August 2020.

    Doch nach 300 Metern steht der Lindwurm an der nächsten Polizeikette. Kein Durchkommen. Fiechtner verhandelt mit dem Polizeiführer. Zunächst ergebnislos, dann wird die Kette noch einmal zurückgenommen. Siegesrufe, Gesänge, Parolen.

    Doch der Jubel kommt zu früh: Erneut wird eine Absperrung aufgezogen und durch Fahrzeuge verstärkt. Noch 100 Meter bis zur Siegessäule, aber kein Durchkommen. Der Plan der improvisierten Demoleitung: Nach Freigabe des Weges zum Kudamm ziehen (oder zum Schloss Bellevue, wie ich vorschlug) – und dann in einem Bogen zurück zum Reichstag. Vielleicht haben V-Leute die Überlegungen weitergetragen – jedenfalls stellt sich die Polizei plötzlich auf stur.

    Zu diesem Zeitpunkt, etwa 11:15 Uhr,  ist die gesamte Straße des 17. Juni geflutet von Demonstranten, fast bis zum Brandenburger Tor. Es ist das gleiche Bild wie am 1. August. Ich gebe „Aktivist Mann“ ein Interview und spreche von „50.000, vielleicht mehr“. Das war dann doch etwas zu euphorisch: Später stelle ich fest, dass zwischen Hauptbühne und Piano-Spitze Lücken klaffen. Aber von 35.000 kann man ausgehen, zumal eine schwer kalkulierbare Zahl an Demonstranten sich schlecht sichtbar im Tiergarten bewegt, abseits der Straße.

    Mittlerweile ist ein  Bühnenwagen angefahren und ans Stromnetz angeschlossen, der Tausendsassa Artur Helios managt das souverän. Die ersten Reden werden nun mit mehr Verstärkung gehalten, der frühere Polizeioffizier Karl Hiltz wird zugeschaltet, appelliert an die Uniformierten. Ich wäre einer der nächsten gewesen. Da kommt die Durchsage der Polizei: Auflösung wegen Verstoß gegen die Hygieneregeln. Kurz zuvor war an der Hauptbühne dasselbe passiert.

    Fiechtner wird brutal weggeschleift.

    Man muss sich das vorstellen: Der fehlende Mindestabstand war von der Polizei selbst provoziert worden, weil sie durch ihre Sperren die Menge gestaut hatte – und jetzt nahm sie diesen Umstand als Vorwand, um aufzulösen. Doch die Demoleitung reagierte deeskalierend und forderte die Versammelten auf, nicht den Durchbruch zu versuchen, sondern in die Gegenrichtung zu marschieren: Richtung Brandenburger Tor, wo noch Platz war.

    Aber offensichtlich wollte die Polizeiführung, angetrieben vom Senat, genau das verhindern: Mitten in die friedlich zurückströmende Menge schickte sie einen Greiftrupp von 20 Beamten, der gezielt das Piano umzingelte – also den einzigen halbwegs starken Lautsprecher, den es noch gab (der Bühnenwagen konnte nicht so schnell losfahren).

    Fiechtner wurde an Arm und Füßen gepackt und brutal davongeschleift. Ohne starken Lautsprecher konnte das Gros der Demonstranten nicht von dem Überfall informiert werden und bewegte sich weiter Richtung Brandenburger Tor. Etwa 300 Personen blieben zurück, wurden von zwei Hundertschaften eingekesselt. Ich war Augenzeuge, wie zumindest vier weitere Demonstranten in die Polizeibullis geschleppt wurden. Damit war unser Demonstrationsteil genauso zerschlagen wie das Gros rund um die Hauptbühne.

    Der Rest waren Jagdszenen im Tiergarten: Schätzungsweise immer noch über 10.000 hatten sich, wie die Germanen unter Arminius, in den Schutz der Bäume zurückgezogen, um den martialischen Kohorten der Senats-Römer zu trotzen. Doch anders als in der berühmten Varus-Schlacht hatten sie das Nachsehen: Die Polizei setzte rücksichtslos Pfefferspray ein, sprach in der eigenen Pressemeldung davon, sie habe sich „mit Schlägen und Tritten“ durchsetzen müssen. Gegen eine friedliche Menge – wer’s glaubt, wird selig. Die Zahl der Verletzten und Festgenommenen ist zur Stunde noch unklar.

    Eine kleine Manöverkritik: So erfreulich es ist, dass heute die politische Einheit des Widerstandes hergestellt werden konnte – die operativ-taktische Führung hat noch gefehlt. Dazu gehört vor allem ein Plan für das, was zwischen Demonstrieren und dem – von uns allen abgelehnten – Einsatz von Gewalt steht: der passive Widerstand, der zivile Ungehorsam. Das Konzept, bei Polizeiübergriffen weder davonzulaufen noch unbesonnen militant zu agieren, sondern sich einfach hinzusetzen und sich unterzuhaken – das muss dringend propagiert und auch geübt werden.

     

     

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